Montag, 5. Mai 2014

Das Rätsel vom Tribschenhorn - Eine Fortsetzungsgeschichte - Der Start

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Zeit: Mai 2014
Ort: Luzern

Hauptfiguren:
Rudi van der Putten, Kommissar, 51, ledig. Als Kind aus Rotterdam in die Innerschweiz gezogen; arbeitet seit 15 Jahren in Luzern. Er ist trockener Alkoholiker, sehnt sich nach dem Meer und leidet unter dem Ruf der Holländer bei den Schweizern. Alle meinen, er liebe Männer, lebe dies aber nicht und sei nur deshalb bei der Kriminalpolizei.

Franziska Ury, seine Assistentin, 38, verheiratet, drei Töchter (10, 15, 17). Ständig überfordert, starke Raucherin. Ihr Mann studiert mit 42 neuerdings Kunst und Vermittlung und kümmert sich nicht um die Kinder. Wenn sie von deren Umgang erzählt, klingt sie schlimmer als ein eifersüchtiger Vater.

Heidelinde Weiss, Tochter des Opfers, 33, ledig, Konzertpianistin, lebt in Stans. Nervöse Esoterikerin mit modischen Euphorien; lebte als Scheidungskind seit 15 Jahren in Auseinandersetzung mit ihrem Vater. Sammelt Kunst von Innerschweizer Künstlern, die sie allesamt nicht persönlich kennt. Die Mutter ist Halbzeitgaleristin und arbeitet in einer grossen Krankenversicherung.


Das Rätsel vom Tribschenhorn

„Einen noch?“

Barkeeper Beat zwinkert dem Stammgast zu und unterbricht dessen schwer verständlichen Redefluss, der sich seit über einer Stunde halblaut um den am Tresen Versinkenden ausbreitet. Rudi van der Putten hält kurz inne, schaut auf und nickt, dann fährt er mitten im Satz fort.

„… mitten in der Nacht kam also diese Nachricht, zwei der drei Särge seien leer gewesen. Im dritten lag er dann, und auf seiner Brust hatte er ein Schild, auf dem stand: ‹Verloren!› - Wir haben erst am nächsten Tag erfahren, dass er tatsächlich ein Hütchenspieler war! Jetzt mussten wir nur noch klären, wer bei diesem Selbstmord den Sarg zugenagelt hatte …“

„Bitte, zum Wohl“

Beat schiebt dem Kommissar die dritte Tasse mit Grünem Tee über den Tresen und steckt den Bon ins Glas. Die Umstehenden, allesamt ebenfalls Stammgäste der Magdi-Bar, grinsen sich verstohlen zu und nicken vielsagend mit den Köpfen, als wüssten sie wirklich, wie schlimm es ist, wenn ein Holländer auf dem Trockenen sitzt. Nur Dorice, die Buchhändlerin, lächelt den Berichtenden selbst an, und bevor er fortfahren kann, wirft sie ein:

„Du kannst uns hier viel erzählen, Rudi! Ich liebe deine Geschichten, aber diese hier kenn ich schon; ich glaub, sie ist aus ‹Wenn die Gondeln Trauer tragen›.“

„Das ist doch Quatsch“, bellt Beat ungewöhnlich energisch über die Theke. Das hätte de Maurier niemals geschrieben, und ausserdem hab ich den Film zuhause.“

Dorice schaut ihn scharf an, was sie darf, denn die beiden kennen sich seit Jahren in wechselnden Verhältnissen.

„Nein, doch nicht der Film! Ich meine den Seilbahnkrimi von Heinz Lötscher, der spielt in Marbach. Total vergessen, und ich weiss auch, warum.“

Jetzt schaut Rudi auf und muss sogar lachen, mit kehlig rollendem, dunklem Bass.

„Ja nun, was soll man denn machen? Luzern ist so was von öde, schlimmer als der Tatort, da muss ich mir doch manchmal was ausdenken oder wenigstens zusammenklauen, um nicht ganz zu verblöden …“

In diesem Moment schreit eine Möwe. Alle Blicke richten sich über die Schultern zum grossen Schaufenster, doch draussen fällt nur ein leichter Nieselregen; kein Wasservogel würde sich am späten Abend in die Altstadtgasse verirren. Das nächste Ziel aller Augenpaare ist dann wieder der Kommissar, der die Augen verdreht und zum Mobiltelefon greift, das wie ein ganzer Möwenschwarm im Fischereihafen schreit. Er wischt übers Display, liest und stöhnt auf. Die Umstehenden schauen ihn fragend an, während er eine Zehnernote über den Tresen schiebt.

„Stimmt so. – Ein Notfall. Eine Leiche auf Tribschen. Na toll, gute Nacht allerseits!“

Franziska Ury schimpft wie ein Rohrspatz, als sie zu Rudi ins Auto steigt. Um diese Zeit, was man sich denn denke, und Stefan sei natürlich nicht zuhause, eine Zwischenpräsentation in dieser verdammten Kunstschule, die ichweissnichtwievielte schon, ob man das denn überhaupt lernen könne, die Kleine schlafe natürlich schon, aber der neue Kerl von Merle sei da und wer solle jetzt aufpassen, das sei so ein windiger Typ. Und ob denn die Leiche nicht einfach bis morgen warten könne, wo sie doch schon mal Leiche sei. Rudi zuckt mit den Schultern und erträgt das Schimpfkonzert mit flachländischer Gelassenheit. Die Tribschenstrasse ist fast autofrei, und kurz nach dem Eisfeld setzt er den Blinker und biegt nach links in die kleine Strasse aufs Tribschenhorn ab. Langsam durchkreuzt er das stadtnahe Erholungsgebiet; die Scheinwerfer lassen eine Menge Kleintiere in die Büsche springen, nur Meister Isegrim, der alte Dachs, bleibt stoisch oder auch nur verwirrt inmitten der Wegkreuzung stehen. In der alten Wellingtonie schreit ein Kauz.

Auf der Freitreppe des Wagnerhauses an der Spitze der idyllischen Halbinsel wartet Gisela Stöckli-Schrupp, die Direktorin des musikhistorischen Museums, und ringt sichtlich um Fassung. Ihre roten Haare leuchten im Laternenschein, und ihr ist kalt. Neben dem Haus stehen bereits drei Beamte der Stadtpolizei, und noch während Rudi und Franziska aus dem Wagen steigen, trifft der Trupp der Spurensicherung ein.

Frau Stöckli-Schrupp erzählt in schnellen, abgehackten Sätzen von ihrem grausigen Fund. Sie habe nur rasch nachschauen wollen, ob die Wasseruhr zugänglich sei, da morgen der Installateur angesagt sei, da habe sie ihn dort liegen sehen, wie vornüber gestürzt, und unter seinem auf die grossen Steinplatten gepressten Gesicht habe sich die dunkelrote Lache ausgebreitet. Da habe sie gewusst, das sei jetzt nicht gut. Sie sei sich nicht ganz sicher, aber sie glaube, denn Mann zu kennen; er sei ihr schon mehrmals im Museum aufgefallen. Das sei ja alles so schrecklich.

Franziska nimmt die Direktorin zur Seite, um einige Formalien zu klären, während Rudi und zwei Beamte in weissen Overalls die steile Kellertreppe hinabsteigen und gleich im ersten Kellerraum auf das vermeintliche Opfer stossen. Auf dessen Hinterkopf beginnt das Blut im lichten grauen Haar zu trocknen. Etwa ein Meter neben der Leiche stösst Rudi mit dem Fuss an ein etwa Meerschweinchengrosses Objekt; erstaunt greift er zu seinem Taschentuch und hebt die Figur damit auf. Eine Tonfigur, offensichtlich schon alt.

„Sehr alt sogar“, wirft Franziska ein, die inzwischen im Keller angekommen ist. So eines habe ich schon einmal gesehen, in einer Ausstellung über frühkeltische Kunst. Aber das da ist neu. Schauen Sie mal, so etwas haben die nicht gemacht.“

Ihre Augenbrauen schieben sich in grösstem Erstaunen nach oben, als sie mit spitzem Finger auf das Gesicht des Tonpferdchens zeigt. Auf dessen Stirn erkennt Rudi eine sorgfältig in den Ton gekratzte Swastika.

„Oha!“, denkt er und dann sagt er es auch. „Jetzt haben wir ein Problem.“

Dann dreht er sich zum Opfer zurück und entdeckt neben dessen Kopf in der Blutlache ein kleines Stück Papier und darauf, mit Bleistift ungelenk in fast kindlicher Schrift geschrieben die Botschaft: „Mit vielem Dank zurück!“

Fortsetzung > hier


Diese Geschichte entsteht aus dem Projektmodul “Dichtung und Wahrheit” heraus. Sie wird durch Studierende der HSLU D&K entwickelt. Initiant ist Max Christian Graeff.
Weitere Informationen > hier


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