Stefan Meier teilt mit:
Donnerstag, 17. Februar – Sonntag, 20. Februar 2011
Eigentlich wäre es ja schön, einen Kalauer zu setzen, welcher auf das Unvermögen meines Computers hinweist, den Temperaturunterschied zwischen Luzern und Stockholm einzustecken. Leider war es aber das messeinterne Stromnetz, welches durch seine Schwankungen – nun, die Harddisk eignet sich nur noch als digital gesteuertes Percussiongerät.
Deswegen, die Leserschaft mag mir das verzeihen, jetzt erst mit geräumigen Abstand zur Messe, noch ein Rückblick im Schnelldurchgang. Die Erinnerungen sind nicht mehr taufrisch, und ein giftiges Ärgerwölkchen hat sich drüber gelegt. Nur so entstehen halt erzählungswerte Geschichten.
Es kam der Tag der Preview – unsere Erwartungen waren noch gedämpft, uns war ja klar, dass sich das schwedische Fachpublikum auch gerne an den schwedischen Beiträgen orientiert. Dennoch, zu einigen interessanten Gesprächen führte es doch – nicht zuletzt bekamen wir zur späteren Stunde gar noch Besuch von der schweizer Botschaft.
Netterweise gab es auch mehrere performistische Interventionstruppen,
immer wenn die Besuchergruppen in der Box zum erliegen kamen, schaute jemand von denen vorbei um die Aufmerksamkeit frisch zu erwecken. Die Plastik „What about longing and loneliness“ von Dorota Lukianska, von ihr mal als Amöbe bezeichnet, wurde von mir schnell als Monstermagnet bezeichnet. Nicht nur, dass sie am meisten Leute fesselte (gleich gefolgt von Andri Stadlers Grossfotografie), ebenso war dieses Publikum am bemerkenswertesten. Bemerkenswert ist wohl nicht der präzise Begriff: nach 2 Tagen konnte ich schon im Moment, wenn jemand um die Ecke kam, bestimmt sagen, ob diese Person in den Sog gerät.
Unser in zufriedener Einigkeit verschmolzenes Gastgeberteam des Abends. Von links: Dorota Lukianska, Andri Stadler, Raphael Egli.
Unweigerlich führte der Abend aber zu einem: der Empfangsparty der Messe. Kollektiv entschieden wir uns, unser brachliegendes Performancepotential zu entfalten. Alle Ereignisse des Abends sind Weiss auf Schwarz hier festgehalten
vorne,
hinten. Was ich trotz intensivem Studium des Datenträgers doch nicht mehr entnehmen kann, ist, dass wir dann noch die letzte U-Bahn verpassten, und dann noch eine gute Stunde nach Hause gehen konnten.
Mit einem vielsagenden breiten Lachen (den Chromball beachten!) empfing uns das Kulturhuset am unmittelbar folgenden Morgen wieder
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Wirklich wunderbar in diesem Zusammenhang die „Espial Drawings“ von Mariusz Tarkawian, welcher von der Galeria Biała aus Lublin (Link) präsentiert wurde. Er hatte sich fest vorgenommen, jede Präsentation mindest einmal zu zeichnen, mit seinem angeboren Röntgenblick.
hier zum Beispiel Jeroen Geel beim aufgenötigten Betrachten einer Uhrperformance (oben rechts auch noch zu sehen, Raphael und Dorota im Pausenmodus). Oder noch zuvor Raphael beim Streichen unserer Wände
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Soweit ist Mariusz schon gekommen
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dabei war erst Freitag, sein mitgebrachtes Skizzenbuch hatte keine Seiten mehr – die Probleme eines Zeichners.
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ein schön gedachtes Objekt, welches aus feuerpolizeilichen Überlegungen vollständig entschärft wurde. Eigentlich war es als Vorhang gedacht, welcher zu durchschreiten ist, nun wurde es aber in die Ecke gestellt. Stuart Mayes von Moca London (Link) fertigte einen Vorhang aus alten Videobändern, von Schwulenpornos – ich kann es nun sagen, objektiv fühlte sich das durchschreiten nicht anders an, als ob Folgen von Lassie mit den Bändern aufgezeichnet wurden, aber ich war mir dem Moment schon bewusster, als gerade eins dieser Bänder meine Backe berührte.
Schöner Galeristenanzug, zu kaufen bei Chiosc - da in Stockholm zu dieser Jahreszeit eh lange Unterwäsche zu tragen ist, dürfte der Tragekomfort auch keine Fragen aufwerfen.
Und nun endlich mal ein paar dokumentarische Ansichten unserer Präsentation, rechts im Gespräch Dorota mit Charlott Markus der deService Garage aus Amsterdam – ich komme noch darauf zurück.
Ein für mich mit viel Emotionen geladenes Foto: zwischen den Ölgemälden von Raphael und dem kleinformatigen Aquarell und der Fotografie von Andri, hinter der Skulptur von Dorota: Raphael und Andri an meinem gerade in dem Moment noch funktionstüchtigen Computer – tempi passati.
Die Eröffnungswand, welche mit kleinen Bildpaaren in das Thema der Präsentation einführt.
Ein Blumenstillleben von Raphael, „the holy molly“ gefüttertes Maulwurffell auf Brett und der „Aal“ auf ebendiesem von Jeroen Geel.
In einem früheren Beitrag habe ich darauf hingewiesen, dass der Stand ein Spiel mit dem Licht sei, Hochlichter der Spots wurden wegretouchiert und Schatten geholt – Andris Fotografie erweiterte das Thema sinnreich über die Reflektionen der Fotobeschichtung, ein Spiel, dass sich via Parkett in den Raum übertrug).
Andris Gegenüber.
Blumen ganz gross.
Ganz haben konnten wir uns dem Publikumswunsch doch nicht entziehen, vor Dorotas Arbeit in der Glasglocke gab es doch ein animiertes Objekt
angetrieben, wie alles bei uns, einzig von Licht.
Wie Dorota auch schön in ihrem aus Pfeifenputzern erstelltem Text auch sehr eingängig darlegte.
Die Präsentation unserer Freunde der deServiceGarage: mutig fokussierten sie den installativen Beitrag von Daniel Hofstede und Benjamin Roth sowie das Plakat von Michiel Schuurman einzig auf die Fotografien von Charlott Markus, mit Erfolg: der Schwedische Staat kaufte die drei Fotografien an – unsere Gratulation! DeServiceGarage kann momentan jede Unterstützung brauchen, da sie am alten Ort raus mussten und der Einstand im neuen teuer wird, sammeln sie wie verrückt: hier, werdet Freunde!
Irgendwann gingen wir dann wieder schlafen – dieses Mal auf direktem Weg, einzig noch ein bisschen Plaudern zu Hause und am morgen danach war es mal wieder kalt.
Ja, mit dem nun doch schon fundierten Training waren wir immer mehr imstande, schwedische Schlagzeilen zu verstehen.
Flüsse, welche bereits eisfrei waren, froren wieder zu. Und wir performten wieder:
Bubbles, oder so ... (Anmerk. d. Red.)
Ebenso eine Person, welche ich bereits für unser Monstermagnet vorsah, sie kam um die Ecke geschwebt, und erstarrte dann für rund fünf Minuten vor Dorotas Arbeit um dann mit ebendiesen steifen Armen wieder in ein Gothwalhalla zu entweichen.
Während den Messezeiten der einzige Ort an welchem ich Tageslicht sah, eine Art Hinterhof auf dem Dach – ohne Tageslicht wäre es aber unmöglich, im Bauscheinwerferlicht der Messe nicht zu entschlafen.
Ein scheuer Blick in die Zukunft: Mit dem Treignac Projet aus dem französischen Zentralmassiv machten wir auf der Stelle ein Austauschprojekt fest: wir zeigen sie in Luzern, sie werden uns zeigen (Link) - das ist doch was.
Während dessen bei uns: ganz links Corinne Bonsma (Link) auf Besuch (gerade an dem Tag ja auch noch ausgestellt bei uns in Luzern), Austausch beim Supermarket ist wahrlich gross geschrieben.
Als Mitorganisatoren der Messe lud das Studium 44 (Link) zur Party in ihren Räumlichkeiten ein. Alles stand Kopf, also begannen wir auch den Abend mit einem Chillout in der orangen Lounche.
Aber der Abend entwickelte sich, nicht mehr ganz so aufregend wie die Eröffnungsparty, die Musik war einfach schlechter, aber das Verhältnis zwischen feuchter Hitze innen und Eiseskälte aussen (-17 Grad wurde kolportiert) manifestierte sich doch in fotogener Weise.
Dann kam mein freier Sonntag, welcher auch für mich abreisen bedeutete – noch ein wenig shopping, Verabschiedungen und schon war es Zeit den Bus zum Flughafen zu besteigen.
Beim doch wehmütigen letzten Blick auf Stockholm zurück sind mir zum ersten Mal die eleganten Konstruktionen der Strassenlampen aufgefallen.
Zu diesem Moment dachte ich mir noch, warum eigentlich nicht meinen Bericht mit Abendrot enden zu lassen, da er schon mit Morgenrot begonnen hat – so romantisch stellte ich mir das vor. Konnte ja nicht ahnen, dass die Geschichte nicht zu Ende ist.
Ich checkte beim Flughafen ein, kaufte mir noch schön eine zollfreie Flasche Whiskey, nutzte die Annehmlichkeiten der Zivilisation für kleine Galeristen, wunderte mich noch über die Art der Männerklo-Deko
und trat dann an einen Sandwichtresen, um meine letzten Kronen in die schwedische Wirtschaft zu investieren. Mit den Kronen hielt ich aber auch den Schlüssel zum Appartment in der Hand, in welchem Andri und Raphael noch übernachten sollten... dumm, sehr dumme Situation. Ziellos rannte ich im Shoppingparadies des Flughafens herum, ohne irgendeine Ansprechperson zu finden. Am vertrauenerweckendsten erschien mir die gerade unbeschäftigte Zöllnerin beim Übergang zu den Transkontinentalflügen. Sie meinte, eine Info gäbe es schon, aber erst wieder vor dem Flughafen. Da könnte ich aber hin, solange ich mein Ticket habe. Freudig lief ich los, Treppe runter, durch die Schleuse an der Gepäckrückgabe vorbei und dann kam mir etwas seltsam vor. Aber auch hier gibt es ja noch Zöllner, habe ja soweit gute Erfahrungen gesammelt. Ich beschrieb ihm also mein Problem: ich hatte einen Schlüssel, welcher nicht hier rein soll aber auch eine Flasche Whiskey, welche nicht raus soll und darüber hinaus Bestand mein Leben eh nur aus Problemen, vor meinem kaputten Computer verschonte ich ihn noch. Er ging aber wohl zu einer anderen Schule wie die nette Zöllnerin oben, er wies mich einzig darauf hin, dass ich jetzt Probleme hätte (das war mir eh schon klar) und dass es für meinen Fall kein vorgesehenes Prozedere gäbe – was ich ja ebenfalls vermutete, weswegen ich ihn ja fragte.
Tja, dann halt raus, Gespräch mit den Taxifahrern suchen. Auch in Stockholm, wie daheim, konnte ich feststellen, das ich mit Serbokroatisch oder Türkisch weiter gekommen wäre als mit Englisch und Deutsch. Aber einer Verstand mein Problem, nahm den Gegenwert von CHF 70.- entgegen und wollte dann mit weiteren Fahrgästen nach Stockholm rein fahren. Tja, dass sah ich aber nicht so: er soll jetzt das Ding sofort ausliefern. Er fuhr also mit einer von Hand abgeschriebenen Telefonnummer von Dorota davon – und mir wurde klar, dass ich weder seine Telefonnummer, noch seine Autonummer, geschweige denn die Betreiberfirma notiert hatte – und welche Nummer er sich aufgeschrieben hatte, habe ich auch nicht kontrolliert.
So ging ich also wieder hoch, erklärte dem Sicherheitspersonal in aller Ruhe was passiert war und verweigerte standhaft ihren Vorschlag, dass ich meine ebenfalls CHF 70.- teure Flasche doch einfach im Container entsorgen könnte, um die Kontrolle wieder passieren zu dürfen.
Ich erwies mich vor mir selber als Grossmeister des Zen-Buddhismus: plötzlich stand ich drin, mit Whiskeyflasche, ohne Handschellen, einzig meine Petflasche voller Wasser hatte ich dazulassen.
So endet also die Geschicht, statt mit Abendrot im leerem Blick, statt einem OM mit einem SAMSUNG auf den Lippen und in den Augen.
Zum 1. Beitrag –> hier und dem Nachtrag –> hier
Zum 2. Beitrag –> hier
Zum 3. Beitrag –> hier
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