Rahel Grunder teilt mit:
Heute Morgen schloss mich die Kleinstadt Luzern in ihre Armen. Oder so ähnlich. Jedenfalls fühlte ich mich total befreit, meinen Fahrradanhänger durch den milden Frühlingsnieselregen ziehen zu dürfen. Er ist meine fahrbare Bühne, mein Atelier modulable für die nächsten vier Wochen. Es roch nach nassem Teer, Abgas und Acrylfarbe.
Ich befand mich mitten im Getriebe vom Alltagsverkehr und Leuten, die kaum den Kopf anheben, steht da jemand in Malerkleider auf einem zersägten Holzstamm und malt Füchse. Vielleicht war es das Wetter, vielleicht tun sie auch nur so als hätten sie mich nicht gesehen, um sich nicht auf ein Gespräch mit mir einlassen zu müssen.
Vielleicht war es auch die antrainierte Gewohnheit, Ungewohntes zu übersehen oder zu ignorieren. Es ist einfacher so, denn der Tag ist eingeteilt in Zeiteinheiten:
„De kömen sie zu hunderte und schaffed ade gliche arbeit. Sie kömen am sächsi und göhnd am zwei und kömen am zwei und göhnd am zähn und kömen am zähni und göhn am sächsi und kömen am zähni...“ (Alfred Rasser alias HD-Soldat Läppli, 1959)
Der Tag ist eingeteilt in Kleidereinheiten: Pyjama vielleicht Seide, Morgenmantel mit Kaffeeflecken, Anzug oder Jupe, vielleicht auch Jeans. Mantel, kein Mantel. Schal, Schirm, Sonnenbrille. Handtasche, Rollkoffer, Arbeitsmappe. Rucksack, natürlich Qualitätsmarke. Gel in den Haaren, kein Gel aber Spray. Deo oder Parfum und immer wieder die Lippen nachziehen.
Der Tag ist eingeteilt in Infos: Radio, 20Minuten, Mail, Protokoll, Handygespräch, Mail, Smalltalk am Mittag, Mail, Blick am Abend, Fernseher, Fernseher, Fernseher.
Der Tag ist eingeteilt in Orte: Bett, Küche, Dusche – Privater Raum. Bus, Zug, Auto – öffentlicher Begegnungsraum. Büro, Park, Toilette – geschlossener öffentlicher Raum. Einkaufscenter, Bahnhof, Restaurant – schein-öffentlicher Raum im Privatbesitz.
Wo hat es noch Platz für mich und meine Füchse?
Ich will keinem Dresscode unterliegen, meine Zeiteinheiten einzuhalten ist eine Herausforderung: Moosstrasse, 9.30-12.30. Paulusplatz, 13.30-15.00. Kaufmannweg, 16.00-17.15.
Eine Kindergartengruppe schaute mir beim Malen zu und kommentierte meine Fuchsereien.
Die ältere Dame bevorzugte es, in sicherem Abstand von 10 Metern aus den Augenwinkeln herüber zu blinzeln und zu warten. Hat sie zu Kaffee und Kuchen abgemacht?
Der vermeidliche Zivi entpuppte sich als Dealer und eine andere Oma bemerkte: „Von weitem dachte ich, es sei ein Hase!“
Rahel Grunder, 28.3.2011
Rahel Grund ist am
Dienstag, 29. März 2011 an folgenden Orten anzutreffen:
09.00 - 13.00 Kiosk Stalder, Zentralstrasse
13.00 - 15.00 Coop Kaufmannweg
15.00 - 16.00 Coop Winkelriedstrasse