Mittwoch, 7. Dezember 2005

Gütersloh - eine Weltstadt? Lokal und international "sauber"

Vor ein paar Wochen konnte ich, in der ARD, aus der Reihe "Bilderbuch Deutschland", einen Bericht über Gütersloh geniessen. Nachdem ich ein paar Einwohner dieser mir völlig unbekannten Stadt kennen lernen durfte, war ich natürlich gespannt, was dieser Ort zu bieten hat. Los ging’s mit einen eindrucksvollen Spass-Bad und seemännischen Klängen, vorgetragen durch einen Shantychor. Weiter wurde ich informiert, dass die durchaus reizende Stadt über ein Parkleitsystem verfügt, dass scheinbar völlig überflüssig ist, da keines der Parkhäuser je voll wird. Auch mit dem Stadttheater scheint es nicht so richtig zu klappen und Asylanten können schnell mal die Verwaltung überfordern, vor allem wenn sie als Kubanische Gruppe auftreten. Lobenswert scheint mir, zu erwähnen, dass die ca. 95'000 Einwohner von einer Frau (Maria Unger) präsidiert werden. Herausragende Unternehmen sind der Bertelsmann-Konzern (Medien aller Art), Miele (die der Stadt auch den Stempel eines sauberen Orts aufdrücken), ein traditionsbewusster Metzger (Rolf Ortmeyer), der zugleich auch die Linde führt. Natürlich fehlt auch eine Bekleidungs-Design-Firma (annette görtz) nicht. Warum die englische König den Ort schon drei Mal besucht hat, bleibt im Dunkeln. Der Fussball-Club ist leider insolvent, dafür findet sich ein Funkturm, der nicht benutzt wird.

Der ICC hält täglich, was den Anschluss an "die Welt" garantiert.

Doch über einen Punkt informierte die Sendung nicht. Gütersloh hat eine Zensur-Behörde und diese versteckt sich in der Teppich-Etage des Bertelsmann-Konzern. Der heimliche Skandal geht verschlungene Wege. Bertelsmann kontrolliert über seine Tochter RTL-Group (TV) den französischen Privat-Sender M6. Die Moderatorin Audrey Sarrat des Kinder-Fernsehprogramms M6 Kid wurde entlassen, weil sie eine erotische DVD präsentierte, natürlich nicht in einer Kindersendung. Es geht um eine von der Firma Advanced Pictures produzierte DVD, in der sich je sechs 18 bis 25 Jahre alte Männer und Frauen nach und nach ausziehen. Allerdings ist dieser Film nicht der Kategorie Porno zuzuordnen, sondern dem Bereich Satire, handelt es sich doch um eine überspitzte Darstellung des Reality-Fernsehens. Der Titel des Films, der in jedem französischen Laden mit entsprechendem Angebot zu haben ist: "Nus et Célèbres" (wörtlich: nackt und berühmt). Der Film ist ab 16 Jahren freigegeben.

Wer die Sendungen auf RTL kennt, wundert sich über einen solchen Schritt nicht. Deutschland sucht den Superstar z.B. ist doch das beste Beispiel für eine Reality-Show, nach dem Motto: Zieh dich aus und du bist dabei. Wobei ich natürlich "ausziehen" nicht real meine, sondern rein seelisch-exhibitionistisch. Solche Sendungen vertragen keine Satire, sind sie doch in sich schon Real-Satire.

Für mich ein weiteres Beispiel, wie in der jungfräulichen Provinz globale Politik gemacht wird, ganz unscheinbar, unauffällig, geleitet durch ein überflüssiges Parkleitsystem.

6 Kommentare:

  1. Ein Schweizer referiert ueber unsere Weltmetropole :) ...und demonstriert dabei eine eindrucksvolle Auffassungsgabe.

    Die Queen war deshalb schon oefters in Guetersloh, weil wir hier einen britischen Militaerflughafen haben, der in der Vergangenheit strategisch nicht unwichtig gewesen ist. Die Co-Existenz mit den britischen Soldaten funktioniert unter dem Strich ganz gut, aber auch nicht ohne Komplikationen. In einschlaegigen Kneipen, die vornehmlich von britischen Soldaten in den Abendstunden besucht werden, ist daher oftmals Chaos mit anschliessendem Polizeieinsatz angesagt...

    Zum Thema "Funkturm" muss man sagen, dass es -in den 80er-Jahren beginnend- eine Diskussion darueber gab, entweder das alte Postgebaeude abzureissen, zu einem Asylantenheim oder zu einem Jugendtreff umzufunktionieren. Das Postgebaeude blieb erhalten (es war und ist in architektonischer Hinsicht auch erhaltenswert) und auf seinem Aussengelaende steht mittlerweile der Funkturm. Als dieser geplant wurde, gab es noch vielseitige Anwendungsmoeglichkeiten und Funkstrecken-Versorgungsluecken hier in der Gegend, wodurch der Funkturm durchaus eine Berechtigung erfahren haette. Die Technik entwickelte sich aber rasanter weiter als die Geschwindigkeit der Fertigstellung des Bauwerkes. Als er letztendlich fertig war, stand er (von ein paar kuemmerlichen Richtantennen und einem riesigen Parabolspiegel mal abgesehen) nahezu leer. Mittlerweile "zieren" aber wieder mehrere Antennen das Bauwerk und es ist davon auszugehen, dass Mobilfunktechniken und das kommende, digital-terrestrische "Ueberallfernsehen" (DVB-T) dem Turm auch in naechster Zukunft zu einer Daseinsberechtigung verhelfen werden.

    Bertelsmann ist eine Festung. Interne Dinge dringen selten nach aussen und das oeffentlich-rechtlichen Kamerateam, welches den Film ueber Guetersloh gedreht hat, bekam nicht einmal ein offizielles Interview zuerkannt. Das ist schade und wirft ein nicht gerade ordentliches Bild auf die Sache, aber letztendlich ist Bertelsmann-Guetersloh tatsaechlich eine Schaltzentrale des Privatfernsehens, deren Macher sich nicht gerne in die Karten schauen lassen wollen...

    Miele ist in dieser Hinsicht tatsaechlich offener und zugaenglicher. Ich kenne mehrere Leute, die dort in unterschiedlichsten Positionen arbeiten und eines haben sie alle gemeinsam: Ein anscheinend intaktes Arbeitsklima und eine gewisse Zufriedenheit mit ihrem Job, trotz des auch fuer Miele nicht gerade idealen, abgelaufenen Geschaeftsjahres, welches lange Zeit im Zeichen der Kurzarbeit stand.

    Na, da haben wir ihn wieder, den westfaelischen Provinzfrieden....

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  2. Lieber Normcast
    Danke für deine ergänzenden Worte.
    Bezüglich dem Funkturm frage ich mich jetzt, was war zuerst. Das Huhn oder das Ei. Der Funkturm oder die Technik. So gesehen, wäre der Turm nun wirklich eine Sensation, weltweit. Zuerst wird er gebaut, und dann wird die Technik dazu erfunden, oder so, oder?

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  3. Naja, gebaut wurde er, wie schon beschrieben, unter der Premisse, dass es zu dem Zeitpunkt durchaus Techniken gegeben hat, die seine Existenz gerechtfertigt haetten. Nur, die Muehlen der Behoerden mahlen oftmals (und gerade in Deutschland) langsam. Daher wurde wohl ein Ei gelegt, welches nie richtig ausgebruetet wurde. Aber aus den Ruinen des Nests koennte in absehbarer Zeit wieder ein Phoenix auferstehen, sofern die Muehlen diesmal -ausnahmsweise- etwas schneller zu Werke gehen sollten :-)

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  4. Als Bielefelder darf ich zur Nachbarstadt Gütersloh höflichst noch folgende Fragen aufwerfen, von denen ich glaube, daß die Beantwortung durch fachkundige Gütersloher ebenso eine Diskussion über die Provinz auslösen könnte.

    Warum der "Pavenstädter Riesenbecher" nicht im Stadtmuseum in Gütersloh, sondern im Westfälischen Museum für Archäologie in Münster aufbewahrt wird?

    Welche Bedeutung der Wasserturm als Phallussymbol für die Stadt Gütersloh hat?

    Warum Gütersloh in den Medien häufig "Dalkestadt" genannt wird und der plattdeutsche Begriff "Gütsel" dagegen für ein Stadtmagazin steht?

    Warum Jugendliche ihre Stadt "G-Town" nennen und Betrunkene meist "Lülaloh" statt Gütersloh sagen?

    Warum es in der "Dalkestadt" trotz der weiten Entfernung zum Meer gleich drei Chanty-Chöre gibt?

    Warum der "letzte Cowboy aus Gütersloh" immer noch nicht namentlich bekannt ist?

    Warum "Bernd das Brot" Gütersloh besingt?

    Warum manche Gütersloher den Berliner Platz immer noch HVP nennen?

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  5. Viele Fragen :-)

    - Becher: Keine Ahnung.

    - Der Wasserturm ist mittlerweile eine Begegnungsstaette fuer Jugendliche, dort ist ein Café eingebaut und rund um den Wasserturm finden ab und zu kleine Konzerte statt, siehe z.B. hier:
    http://www.normcast.de/lokales/rock-den-turm-2007/

    - Eigentlich kommt der Name "Gütsel" aus dem Plattdeutschen, dort wird es meistens "Chütsel" oder selten auch "Chützel" genannt. Oftmals in scherzhafter Verbindung mit "uchuttuchutt" (="ogottogott") :-)

    - "G-Town" ist halt hip, ey! ;) ...und "Lülaloh" ist wohl das Aequivalent zu "Bülleföld"

    - mindestens einer der Shanty-Choere, naemlich die "Luttermoewen", ist im benachbarten Isselhorst beheimatet, also von hier aus gesehen "hinter der Lutter". Das ist ein grosser Unterschied ;)

    - Cowboy: Tja, der gute Thommie Baier huellt sich dazu bislang in Schweigen...

    - Bernd ist halt immer miesepetrig drauf. Aber den Song kenne ich nicht, Mist! :)

    - HVP: Tradition! Der "Hertie-Vor-Platz" koennte heutzutage allerdings auch "KVP" (KarstadtVorPlatz) genannt werden...

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  6. HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!

    Einige der Fragen sind richtig beantwortet!

    zu 1:
    Eines der ältesten Zeugnisse menschlicher Besiedlung in "G-Town" ist der „Pavenstädter Riesenbecher“ (17. Jahrhundert vor Christus). Der Becher aus gelbem, brüchig-mürben Ton ist 40 cm hoch und fasst 12 Liter. Ein vergleichbares Fundstück dieser Größe gibt es in ganz Westfalen nicht!!! Der Pavenstädter Riesenbecher wurde 1951 im Mündungsgebiet von Dalke und Wapel gefunden und befindet sich im Westfälischen Museum für Archäologie in Münster. Warum der nicht im Stadtmuseum der Stadt Gütersloh steht, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten!

    zu 2:
    Der Wasserturm am Theodor-Heuss-Platz ist 40,8 Meter hoch, wurde 1888 in Betrieb genommen und tatsächlich zu einem Jugendcafé umgebaut. Ob die "Gütsler" in diesem Bauwerk tatsächlich ein Phallussymbol sehen, wird in Kürze noch von mir empirisch untersucht werden!

    zu 3:
    "Gütsel" ist plattdeutsch! Stimmt! Warum sich ein modernes Stadtmagazin mit einem aus der Mode gekommenen Begriff betitelt, bleibt trotzdem ein Rätsel!

    zu 4:
    "G-Town" ist nicht nur "hip", sondern auch noch "cool"! Es steht für GT - das Kfz-Kennzeichen von "Lülaloh".

    zu 5:
    Obwohl weit von der Küste entfernt liegend, hat "Gütsel" mehrere Verbindungen zur Seefahrt. Seit 1906 gibt es den Marineverein, die heutige Marinekameradschaft Adolph Bermpohl e. V. Der Namensgeber wurde in "Lülaloh", Am Alten Kirchplatz Nr. 14 geboren und war Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS).

    zu 6:
    Laut des Interpreten Th. Baier kam die "Dalkestadt" nur aufgrund des Reimes und des wohlklingenden Namens zu der Ehre, überhaupt erwähnt zu werden! Dennoch wird dieser Song oft von den Fans des FC Gütersloh im Heidewaldstadion intoniert. Der "Cowboy" wird trotzdem für immer namenslos bleiben! Daran werden auch die Bertelsmänner kaum etwas ändern können.

    zu 7:
    Auf seiner CD „Rockt das Brot“ begeistert sich das depressive Gebäck "Bernd" in einem Song für die Ödnis der Stadt, welche nach seiner Ansicht lediglich durch die im benachbarten "Bülleföld" anzutreffenden Verhältnisse übertroffen wird.

    zu 8:
    Die Abkürzung steht für Hertie-Vor-Platz! Bravo! "KVP" klingt noch besser, oder???

    Übrigens:

    Ab Frühjahr 2009 werde ich Comedy-Stadtführungen in "Gütsel" anbieten und als Bieleweltler noch mehr über die "Seefahrerstadt" verraten!

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