Montag, 4. Oktober 2010

Schlatter unterwegs LXXXX: Stolzer Kultschalbesitzer wird in Wien reichlich beschenkt

Bruno Schlatter teilt mit (Sonntag, 3.10.2010)

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Wien bei Nacht

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VJ produziert seine Bilder live

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Stolzer Kultschalbesitzer

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Mein Werk, vorher sah man die drei Steine nicht…

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Wiener Hüttenkunst im Gazebo

 

Nach einem kleinen ‚Hin und Her‘-Chat werde ich zu Kultschal zum Nachtessen eingeladen. Sie habe ich am Pombösen Marsch für den Augartenspitz kennengelernt. Wir sind letztlich fast Nachbarn. Ich darf vom Dach einen pompösen nächtlichen Blick über Wien und dann Blutwurst mit feinen Gemüsen geniessen. Zum Dessert erfahre ich, wie Kultschal zu ihrem Namen kam und kriege sogar einen wirklich königlichen Kultschal geschenkt.

Zusammen fahren wir an den Einsiedlerplatz – ihren Mann lassen wir bronchitisgeschwächt zu Hause. Im ‚Kulturhafen‘ hat Salah Addin sein Konzert begonnen. Der Sudanese spielt die elektrische Gitarre und singt, dazu trommelt wieder mal der hervorragende, ewige Habib Samandi inklusive Kazoo, links wirft die Iranerin Tahere Nourani aka Tata ihre Querflötenpralinen ein, sie hören wir auch schon zum dritten Mal. Musikalisch reisen wir zwischen Afrikablues, Afrobeat und ‚Sufi- Hoppeln auf dem Kamel durch die Sahara‘. Die drei ergänzen sich hervorragend, lösen sich ab und spielen einander die Melodien zu.

Für die Museumsnacht ist es anschliessend zu spät, auch die endet schon abends. Deshalb probieren wir ‚Das Werk‘, wo sich Vienna Soulfood an einem kleinen Festival präsentiert. ‚Das Werk‘ ist ein relativ neuer Club um die Ecke bei Kultschals Wohnung, sie war aber noch nie dort. Wir tauchen in einen dunklen Innenhof wo die Security zum Flüstern ermahnt und stechen in ein riesiges Kellergewölbe, wo gerade die ‚Blind Idiot Gods‘ intelligenten, modernen Rock von der Bühne brettern. Ein toller Club mit Stil, guter Musik und durchmischtem, jungem Publikum. Ein bisschen alt kommen wir uns schon vor.

Als zweites spielen die Cheesevibes eine Mischung aus Reggae, Ska und Hip-Hop, ehe ‚antiehdas‘ den Abend mit seiner Laptop-Electronic beschliesst: zwischen Minimal und Maximal, eiernde, repetitive Beats von einer herrlichen VJ-Animation begleitet. Der junge Künstler bereitet seine Bilder live auf der Bühne, benutzt zum Teil vorgefertigte Strukturen und zeichnet vor Ort, fotografiert und verarbeitet die Bilder direkt im Computer zu trickfilmartigen Sequenzen.

Da wurde ich wieder einmal verwöhnt von Wien!

Den Sonntagmorgen starte ich mit Salah Addin & Friends. Holy Holy, 2002, die CD habe ich mir am Vorabend von der Managerin ergattert. Sofort scheint die Sonne Afrikas in der Wohnung. Inspirierte Afromusik, diesmal mit ganzer Band, mal wie Reggae, mal Gospel, mal Maliblues (aber halt aus dem Sudan), mal Blues. Vom traditionellen inspiriert in die Gegenwart hinein und darüber hinaus…

Um 10 Uhr treffe ich am Eingang zum Jüdischen Friedhof die Grünen und andere Freiwillige: wir helfen den verwilderten Friedhof, den die Stadt leider nicht pflegt, obwohl darüber ein internationales Abkommen besteht, von der allgemeinen Rosenüberwucherung zu befreien. Normalerweise ist der Friedhof geschlossen: zu gefährlich. Wir müssen deshalb ein Formular ausfüllen, das bestätigt, das wir auf eigene Haftung das Areal betreten (auf eigene Gefahr: eine Warnung die man hier übrigens ständig an jeder Ecke trifft). Bis 11 Uhr habe ich 3 Grabsteine freigelegt und mich dabei gefühlt, wie die Figur in meiner Novelle ‚Abgang, Fertig, Aus‘, die sich aus dem riesigen Dornengebüsch befreit, das ihr ein freies Leben verunmöglicht hatte.

In der nun folgenden Führung erfahre ich davon, dass dieser Friedhof die Debatte ausgelöst hat, was denn Österreich nun sei, so weisen Stadt und Land Wien die Verantwortung von sich, sie seien nicht Österreich und hätten dieses internationale Abkommen nicht unterschrieben, und der Staat befindet, dass er ja eigentlich eben genau aus den Städten und Ländern bestehe. Und so debattieren sie noch heute. Auch weiss ich nun über die Gräberausrichtung nach Osten Bescheid und frage mich jetzt noch, ob bei der Auferstehung der Toten am jüngsten Gericht, wirklich alle den Weg nach Jerusalem finden, aber die Welt ist ja zum Glück rund, selbst wenn sie sich nicht umdrehen und gegen Westen gehen, kommen sie irgendwann in Jerusalem an. Leider dauert es 45 Minuten, bis wir die ersten paar Meter der Führung machen, mir scheint, die Österreicher neigen zu ausführlichen Veranstaltungen. Nach etwas mehr als einer Stunde habe ich immerhin einen kleinen Teil des ältesten Gräberfeldes begutachtet und verabschiede mich.

Ich radle quer durch die Stadt zur Vernissage von gazebo bei der werkstatt h an der Schönbrunnerstrasse 61. Dort treffe ich den Esel, der das ganze organisiert (und auch die Website, von der wir letzte Woche berichtet haben). Ich höre leider nur noch den letzten Satz der Vernissageansprache, werde aber mit einem reichhaltigen Buffet vertröstet und erhalte eine kleine Privatlektion über den Off-Space, der für mich ein wenig Hüttenkunst in Wien darstellt. In der Hütte läuft die Aktion Bird-Karaoke, man kann seine Vorstellung eines Vogeltones abgeben, was dann als Soundcollage später abgespielt wird. Es treffen hier Street-Art auf Lichtkunst, bildende Kunst auf Workshops. Das ganze Projekt dient spartenübergreifendem Austausch und der Vernetzung von Menschen und Ideen.

Zurück arbeite ich kurz und verabschiede mich später zu einem erschöpften Tagesschlaf ins Bett.

//LINKS//
Salah Addin

Vienna Soulfood

Jüdischer Friedhof

Gazebo

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