Rahel Grunder teilt mit:
Heute steht Regen auf der Menukarte, wie dies noch öfters der Fall ist in Luzern.
Roger Levy besuchte mich nur ganz kurz und nach dem er mich endlich gefunden hatte, kniend vor dem überdachten Grilltresen des TexMex Restaurants, bemerkte er trocken: „ Ich habe mir doch gedacht, dass du einen Unterschlupf gefunden hast, wie ein Fuchs halt.“
Dass mein Unterschlupf sehr sehr dreckig ist und sich mein Abdeckplastik im Prinzip erübrigt hätte, fiel mir erst auf, als der Mitarbeiter vom Modul kam und mich darauf hinwies, dass an den Plakatstellen teilweise sogar Urinspuren vorhanden seien. Meine Latexhandschuhe für alle Fälle kamen deshalb heute zum ersten Mal zum Einsatz.
Meine Füchse sind diese Woche frech oder tot. Sie spüren den Frühling, raufen sich oder klettern süssen Beeren nach. Im Internet finde ich viele Bilder von überfahrenen, die Eingeweide heraushängende, aufgehängte oder verwesende Füchse. Ich selbst habe erst ein Mal einen überfahrenen Fuchs in echt gesehen. Manchmal sieht man überfahrene Igel, Katzen, Vögel, Mäuse, Ratten, aber nicht sehr oft.
Was viele Leute nicht wissen ist, dass es in jedem Kanton ein Amt gibt das in der Nacht alle überfahrenen Tiere einsammelt und „entsorgt“. Eine Art Tierleichenlittering-Bekämpfungsstelle. So richtig schweizerische Cleanness.
Wie fast jeden Tag bekam ich auch heute Besuch von Bekannten und Unbekannten. Immer wieder ermutigende Worte, „Gute Idee“, „Ich habe dich schon letzte Woche gesehen – super!“ oder „Endlich mal etwas anderes als Werbung“.
Es kommen jedoch auch kritische Fragen und Bemerkungen.
„Warum versteckst du dich hier zwischen Hauseingang und Mauer? Malst du auch an öffentlicheren Stellen, wo dich die Leute besser sehen? Willst du nicht auf deinem Wagen einen Text hinhängen, der beschreibt, was du da machst? Verstehen die Leute, was du aussagen willst? Was willst du überhaupt damit aussagen? Dieser Fuchs braucht noch etwas mehr Orange auf dem Rücken, sonst ist er kein richtiger Fuchs!“
Malen, Reden, Beobachten, Reden, Malen, Grüssen, Nicht Grüssen. Nachstarren. Denken? Was denken die Leute? Denken sie überhaupt etwas?Denke ich etwas, wenn ich durch die Stadt laufe?
Ich denke schon.
Manchmal spüre ich, dass ich die Geduld etwas verliere. Die Geduld den Leuten zu erklären, obwohl ich finde, sie sollten sich mehr Zeit nehmen und einfach mal hinschauen. Eine Abfolge von Gedanken setzen sich in meinem Kopf zusammen, die für mich das Resultat ergeben, dass man besser hinschauen, beobachten sollte, will man etwas verstehen. Diese Abfolge geht so: Wir laufen durch die Strasse und werden von Bildern, Informationen und Geräuschen überflutet. All diese Reize sind eine Überforderung für uns und zwingen uns dazu, auszufiltrieren. Wir beginnen gewisse Dinge zu übersehen. Zum Beispiel, dass da eine Person am malen ist, wo sonst nie jemand am malen ist.
Weil die Farbtöpfe jedoch das Trottoir versperren und man darum herum laufen muss, schauen wir trotzdem hin und fragen uns, was diese Person da macht. Entweder fragen wir, bleiben stehen und beobachten oder gehen weiter und denken darüber nach.
Will ich meinerseits jedoch wirklich herausfinden, was da passiert, wenn ich auf der Strasse male, so muss ich es immer und immer wieder durchführen. Verschiedene Orte austesten und auf die feinsten Berührungen zwischen Passantinnen und mir reagieren. Dies kann unter Umständen auch nur ein „Grüezi“ oder ein Lächeln sein. Es passiert enorm viel im öffentlichen Raum. Oft ist es jedoch so subtil, dass es schnell übersehen wird.
Ich weiss auch nicht, was ich genau mache auf der Strasse, aber ich merke immer mehr, dass es notwendig ist, sich die Zeit zu nehmen es zu tun und die Geduld zu haben es durchzuziehen. Beim Malen ist dies dasselbe und Malen auf der Strasse ist sozusagen das Maximum von Geduld.
Da prallen Welten aufeinander und das ist interessant. Pressante Passantinnen und geduldige Malerinnen. Und die sollten sich dann noch verstehen? Eine echte Herausforderung! Da ticken zwei verschiedene Uhren.
Rahel Grunder, 4.4.2011
Rahel Grunder ist am Dienstag, 05. April 2011 an folgenden Orten anzutreffen:
11:00 – 13:00 Uhr Bruchstrasse 12, Schaukasten
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